Die Rolle der Gestaltpsychologie in der qualitativen Markt- und Medienforschung

Dez. 23, 2005

Was ist Gestaltpsychologie? Das Wort "Gestalt" bedeutet im Sinne der Gestaltpsychologie: "Das Ganze - in seiner Gesamtheit!" Die Gestaltpsychologie geht davon aus, dass sich in beobachtbaren Phänomenen des Alltagslebens durch ganzheitliche Betrachtung immer eine zugrunde liegende psychische Struktur zeigt, die durch Analyse ermittelt werden kann. In Deutschland wird Gestaltpsychologie seit ca. 1920 betrieben und ist stark von der "Berliner Schule" geprägt, der Kurt Koffka, Wolfgang Köhler und Kurt Lewin sowie Max Wertheimer angehörten. Auch die Ganzheits- und Strukturpsychologie der "Leipziger Schule" unter Felix Krüger ist hier zu nennen.

In der qualitativen Markt- und Medienforschung werden gestaltpsychologisch geprägte Alltagsbeobachtungen zum Umgang "von Zielgruppen" mit Produkten und Marken ein immer wichtigeres Mittel zur Datenerhebung. Wie leben Verbraucher? Wie gestaltet sich ihr Alltag? Welche besondere Rolle spielen die jeweils untersuchten Marken und Produkte darin?

Der Verbraucheralltag wird dazu beispielsweise phänomennah im Zweiergespräch des psychologischen Tiefeninterviews erfragt und hinterfragt. Dabei werden konkrete Umgangsformen mit bzw. Haltungen zu einem Produkt oder einer Marke und deren zugrunde liegenden psychologischen Strukturen ermittelt. Es wird darüber gesprochen wann, wie und wo man putzt, fernsieht, Kaffee trinkt oder ähnliches. Wie fühlt man sich dabei jeweils? Warum wählt man gerade dieses Produkt, diese Marke, dieses Putzmittel, diesen TV-Sender, diesen Kaffee und nichts anderes?

Biotische Beobachtungen, d.h. lebensnahe Beobachtungen von Konsumenten sind in diesem Zusammenhang ein ebenfalls gelungenes Forschungsinstrument, das seinen Ursprung in der Gestaltpsychologie hat. Ein Forscher befragt Konsumenten in deren Wohnung, z.B. zum Putzverhalten - die Befragten putzen, während ein Kameramann filmt.
So werden in der Markt- und Medienforschung eine Reihe von Alltagsphänomenen erhoben und in ihrer Vielfalt einer "phänomenologischen Datenanalyse" unterzogen.

Gestaltpsychologisch orientierte Forschung geht dabei von vier Maximen aus:
  1.  Das Denken ist ganzheitlich, im Sinne der bekannten Weisheit des Aristoteles: "Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile!"
  2.  Die Erhebung der Phänomene erfolgt möglichst "biotisch", d.h. lebensnah.
  3.  Von den beobachteten Phänomenen aus werden strukturelle psychologische Zusammenhänge gesucht.
  4.  Alle beobachteten Phänomene sind psychischen Prozessen zugeordnet.
Bei der Analyse der so erhobenen Daten werden die Ordnungsprinzipien der menschlichen Wahrnehmung berücksichtigt, die es erlauben, in der Vielfalt der Phänomene ordnende Strukturen zu finden bzw. herzustellen. Beispielsweise lassen sich so bestimmte Putztypologien oder auch Zuschauertypen ermitteln.

Max Wertheimer und Wolfgang Köhler haben als Ordnungsprinzipien der menschlichen Wahrnehmung schon im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts die Gestaltgesetze formuliert, die in der qualitativen Forschung immer noch aktuell sind:

1. Gesetz der Nähe:
In einer Menge gleichartiger Elemente schließen sich in unserer Wahrnehmung die räumlich nahe beieinander liegenden Elemente zu einer Gruppe zusammen. Das ist z.B. besonders für die Gestaltung von Verkaufsräumen wichtig.

2. Gesetz der Ähnlichkeit:

Werden unterschiedliche Elemente dargeboten, werden ähnliche oder gleiche Elemente in unserer Wahrnehmung zu einer Gruppe zusammengefasst. Gleichartigkeit kann durch Form, Farbe, Struktur etc. der Elemente bewirkt werden. Dieses Gesetz ist z.B. für die Packungsgestaltung im Sinne der Corporate Identity einer Marke wichtig.

3. Gesetz der Geschlossenheit

Nicht vorhandene Linien oder Teile einer Figur werden in unserer Wahrnehmung ergänzt, so wird eine unvollständige Gestalt geschlossen.Damit arbeitet aktuell z.B. sehr gelungen das neue Design der Fix-Produkte der Marke Maggi, indem es die Seiten eines Kochbuchs andeutet, das in der Verbraucherwahrnehmung vervollständigt wird.

4. Gesetz des gemeinsamen Schicksals
Elemente, die sich gleichmäßig verändern oder gleichmäßig bewegen, gelten als Einheit. D.h. zum Beispiel, dass in einem Produktsortiment einer Marke das Produkt als am wenigsten zugehörig erlebt wird, bei dem ein neues Packungsdesign bereits umgesetzt ist, während alle anderen Produkte noch das bisherige Design zeigen. Dieses Produkt wird aber dadurch in der Wahrnehmung der Verbraucher auch besonders hervorgehoben, was unter bestimmten Bedingungen verkaufsfördernd sein kann.

5. Gesetz der guten Fortsetzung
Elemente werden in einem Zusammenhang gesehen, wenn sie entsprechend angeordnet sind.
Einzelne Gestaltgesetze wirken oft zusammen. Daher gibt es wiederum übergeordnete Prinzipien, die das Zusammenwirken der Gestaltgesetze steuern:

1. Das Prägnanzprinzip oder "Gesetz der guten Gestalt"
Wahrzunehmende Phänomene werden in eine sinnvolle und möglichst einfache, einprägsame Gestalt mit bestimmter Struktur, Harmonie und Prägnanz gebracht. "Prägnanz" bedeutet Regelhaftigkeit, Einfachheit, Geschlossenheit und Symmetrie.

Marken mit einem sehr komplizierten Markenauftritt machen es sich demnach nicht immer leicht. So musste die Automarke HYUNDAI nach ihrer Einführung in Deutschland 1991 zunächst einmal die Hürde des komplizierten Markennamens überwinden.

2. Das "Gesetz von Figur und Grund"
Eine Figur ist ein Ge­genstand, der sich von einem Hintergrund (Grund) abhebt. Hebt sich ein Gegenstand nicht eindeutig vor einem Hintergrund ab, kann Wahrnehmung mehrdeutig sein, wie beim"Rubinschen Becher", bei dem entweder ein Becher oder zwei Gesichtsprofile zu sehen sind.

In der Markenwahrnehmung kann es für Marken manchmal sehr notwendig sein, ein eindeutiges Image zu generieren. Für andere Marken ermöglicht die Mehrdeutigkeit in der Wahrnehmung die Ansprache verschiedener, teils sehr unterschiedlicher Zielgruppen, wie z.B. bei der Marke Calvin Klein, die mit "CK One" sehr erfolgreich einen "androgynen Duft" kreiert hat.

3. Das "Gesetz der Erfahrung und Erwartung"
Zum Teil wird objektiv Falsches als Richtiges wahrgenommen, weil nicht jede Wahrnehmung neu gesehen und strukturiert wird, sondern oft das gesehen wird, was aufgrund unserer Erfahrung wahrscheinlich ist. Beispielsweise machen sich dies einige Handelsmarken zunutze, die das Logo oder den Farbcode jeweils sehr bekannter, erfolgreicher Marken andeuten. Die Verbraucher "sehen" dann beim Einkauf auf dem ersten Blick nicht die Handelsmarke, sondern die bekannte, angedeutete Marke.

4. Das "Gesetz der Kontinuität"
Phänomene werden oft zeitlich aufeinander bezogen, woraus der Eindruck einer Bewegung des Objektes entsteht. Dieses Wahrnehmungsprinzip ist beispielsweise bei der Filmrezeption relevant, denn ein Film besteht aus einer Vielzahl an statischen Bildern, die aneinandergereiht Bewegung vermitteln. Eine Sekunde eines Filmes besteht zum Beispiel aus genau 24 statischenBildern!

Vorteile qualitativer Markt- und Medienforschung
Qualitative Markt- und Medienforschung ist oft sehr alltagsnah und geht von gestaltpsychologischen Maximen aus. Führt sie eine "phänomenologische Analyse" qualitativ erhobener Phänomene durch, macht sie dabei die oft unbewusst wirksamen psychischen Strukturen, die sich im Umgang mit Marke und Produkt entwickeln, sichtbar und liefert Hintergründe zur strategischen Markenführung.

Anwendungsbereiche dieses qualitativen Forschungszweiges sind insgesamt sehr vielfältig. So können beispielsweise das Image einer Marke ermittelt, Verbrauchertypologien gebildet oder die Relevanz von Produktdiversifikationen überprüft werden. Aber auch Packungsgestaltungen oder die Positionierung am POS können auf ihre Wirkung hin überprüft werden, und vieles andere mehr.

Dabei ist es immer wieder erstaunlich, wie verschieden die Umgangsformen und Wahrnehmungen der Menschen im Hinblick auf ein und dieselbe Marke, ein und demselben Produkt oder ein und derselben Aufgabe, zum Beispiel dem Reinigen eines Bodens, sein können.
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